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"Ende des therapeutischen Nihilismus"
Die gefährlichsten Begleitinfektionen bei Drogenkranken sind behandelbar
Wissenschaftliche Publikation der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin
Die größte Gefahr für drogenkranke Menschen ist inzwischen
eine Infektion mit dem Erreger der Hepatitis ("Leberentzündung")
vom Typ C. Eine HCV-Infektion führt zu schweren Erkrankungen mit
manchmal tödlichen Komplikationen, zur weiteren Verelendung der Betroffenen
und zu erheblichen Belastungen für Gesundheitswesen und Volkswirtschaft.
Bisher gingen die meisten Ärzte davon aus, dass eine Behandlung der
HCV-Infektion bei heroinabhängigen Drogenpatienten zwecklos sei,
unter anderem, weil diese Menschen ohnehin nicht in der Lage seien, die
Therapie durchzuhalten ("non-compliance"). Genau das ist falsch. "Der
therapeutische Nihilismus ist längst nicht mehr gerechtfertigt",
erklärte Dr. Jörg Gölz (Berlin), Vorsitzender der Deutschen
Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS). Gölz ist Herausgeber eines
Sonderheftes der DGS-Zeitschrift "Suchttherapie"* über "Virushepatitiden
bei Drogenabhängigen".
Der Erreger der Hepatitis C kann erst seit wenigen Jahren genau diagnostiziert
werden; zuvor wurde die Krankheit - etwas hilflos - "Non-A, Non-B-Hepatitis"
genannt, weil das Virus noch nicht identifiziert war, sich aber von den
bis dahin bekannten Erregern der A- und der B-Hepatitis unterschied.
In dem Sonderheft beleuchten führende Wissenschaftler und Fachärzte
alle Ursachen, Folgen und Therapiemöglichkeiten der Hepatitisinfektionen
bei Drogenkranken.
Der Psychiater Dr. Jochen Brack (Hamburg) hat in einer Studie herausgefunden,
dass die HCV-Infektion mittlerweile die Ansteckungsrate mit dem Hepatitis-B-Virus
überholt hat: Fast 60 Prozent aller heroinabhängigen Patienten
weisen Antikörper gegen das HC-Virus auf. Vor allem zeigte sich dabei,
dass es deutliche Risikofaktoren für eine solche Ansteckung gibt,
insbesondere schlechte soziale Verhältnisse oder Verelendung. Ferner
wurde bestätigt, dass sich heroininjizierende Gefängnisinsassen
mit zunehmender Haftdauer infizieren; die Rate liegt hier um bis zu 30
Prozent über dem Durchschnitt (siehe auch Pressedienst der DGS
vom Februar 2002: "Hamburger Senat fördert lebensgefährliche
Infektionskrankheiten"). Aus solchen und weiteren epidemiologischen
Daten leitet Brack die Forderung nach umfassenderen und gezielteren Vorbeuge-Maßnahmen
ab.
Dr. Thomas Steffen, Prof. Felix Gutzwiller und weitere Autoren aus dem
Schweizer Gesundheitsdepartment (Aarau) weisen denn auch nach, dass eine
Hepatitis-Prävention während der heroingestützten Behandlung
Drogenabhängiger die Rate an Neuinfektionen mit Hepatitis B und C
zu halbieren vermag. Dies konnten sie in einer Nachuntersuchung des Programms
feststellen, mit dem in der Schweiz - anders als hierzulande immer noch
üblich - auch Opiatabhängige mit schweren medizinischen und
sozialen Problemen Ersatzstoffe erhalten.
Bisher ging man davon aus, dass AIDS- und Hepatitis-Erreger bei Drogenkranken
"nur" durch den gemeinsamen Gebrauch von Spritznadeln ("needle-sharing")
übertragen werden. Dr. Barbara Bertisch-Möllenhoff (Zürich)
weist in Ihrer Arbeit in dem "Suchttherapie"-Sonderheft nach, dass Viren
auch durch gemeinsame Zubereitung von Drogen unter Verwendung durchgespülter
(aber eben nicht neuer) Spritzbestecke übertragen werden. Zudem zeigt
sich, dass das Hepatitis-C-Virus um das Zehnfache ansteckender ist als
der AIDS-Erreger HIV! Folglich müsse jenseits aller Ideologie dafür
gesorgt werden, dass Drogenkranke jederzeit Zugang zu frischen Spritzen
und Nadeln haben.
Den "therapeutischen Nihilismus" bei der gesellschaftlich und medizinisch
ohnehin vernachlässigten Gruppe der Drogenkranken weisen unter anderem
Dr. Milo Huber und Dr. Daniel Meili aus Zürich konkret nach. Und
das Vorurteil, diese Patienten hätten "ohnehin kein Interesse" an
Behandlung und Gesundung, wird widerlegt: 80 Prozent der HIV-infizierten
heroinabhängigen Patienten akzeptieren die - durchaus Disziplin erfordernde
- Behandlung.
Wenn mit einer Therapie begonnen werden kann, sind die Chancen, das Virus
zu eliminieren, bei Drogenkranken offensichtlich genauso groß wie
bei anderen Patienten. Dr. Jörg Gölz und Dr. Gerd Klausen (Praxiszentrum
Kaiserdamm Berlin) konnten durch Nacherhebungen bei Behandelten überdies
ein weiteres Klischee widerlegen: Lediglich sechs Prozent der heroinabhängigen
Patienten brachen die Therapie ab. Die Rate an Behandlungsabbrüchen
aus medizinischen Gründen kann überdies deutlich gesenkt werden,
wenn die psychiatrischen und schweren körperlichen Nebenwirkungen
(wie Blutbildveränderungen) medikamentös mit-behandelt werden.
Eine bereits vorliegende psychiatrische Begleiterkrankung darf ebenfalls
nicht länger ein Hindernisgrund für die Behandlung der Infektionen
sein, betont Dr. Martin Schäfer (Charité Berlin). Auch ein
vermehrter Abbruch der Entzugsbehandlung findet trotz der Nebenwirkungen
während einer antiviralen Therapie nicht statt - anders als die Mehrzahl
der Ärzte bisher annahm. Dies weist Dr. Markus Backmund (München)
nach.
In weiteren Beiträgen im Spezialheft der "Suchttherapie" werden
Ärzte über die virologischen und immunologischen Grundlagen
der HCV-Infektion (Dr. Christoph Sarrazin, Uni Frankfurt/M.) und über
die Behandlung mit modernsten Arzneimitteln (u.a. Privatdozent Dr. Jürgen
K. Rockstroh, Uni Bonn sowie Dr. Stephan Kaiser, Uni Tübingen) informiert.
Der Herausgeber der wissenschaftlichen Zusammenstellung und zugleich Vorsitzende
der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin, Jörg Gölz,
betont in seinem Editorial, durch den "suchtmedizinischen Paradigmenwechsel"
des letzten Jahrzehnts hin zu schadenmindernden Behandlungsformen gebe
es eigentlich gute Voraussetzungen für einen "therapeutischen Aufbruch":
Qualitätsstandards in der Behandlung von Infektionskrankheiten müssten
zum Nutzen sowohl der Patienten als auch des Gesundheitswesens endlich
auch für drogenkranke Menschen gelten.
+++ Abdruck bwz. Verwendung frei. Belegexemplar erbeten an MWM-Vermittlung
+++
* Erschienen im Thieme Verlag.
Journalisten können das Sonderheft kostenlos anfordern bei:
Christian Staehr
Leiter Fachzeitschriften/Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart
Tel.: (0711) 8931-237, Fax: -298
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