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DGPPN Kongress 2004
Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde
ICC Berlin, 24. bis 27. November 2004

Psychochirurgie:
Inhumanes Relikt oder Renaissance einer sinnvollen Alternative?
Hirnstimulatation bei sonst schwer behandelbaren Krankheiten
Von Prof. Thomas Schläpfer, Bonn

Der Gedanke, mit chirurgischen Eingriffen Denkprozesse in unserem Hirn dauerhaft zu verändern, lässt uns zu Recht erschaudern. Schließlich ist die Persönlichkeit des Menschen mehr als die Summe seiner Hirnfunktionen. In der Geschichte der Psychiatrie gab es in der Tat dunkle Kapitel chirurgischer Eingriffe in das Gehirn bei Schizophrenen oder bei Sexualstraftätern mit schrecklichen Folgen. Insoweit ist höchste Vorsicht geboten. Seit wenigen Jahren stehen jedoch neue Operationsmethoden – unter anderem die Hirnstimulation – zur Verfügung, die bei wenigen schwerst erkrankten Patienten, für die sonst kein Behandlung zur Verfügung stünde, erste Erfolge gezeigt haben. Deshalb dürfen auch operative Verfahren nicht von vorn herein verdammt werden, auch wenn noch weitere Überprüfungen notwendig sind.

In den 30er Jahren wurden vor allem schizophrene Patienten einem primitiven chirurgischen Eingriff, der "Lobotomie", unterzogen. Bei diesem Eingriff wurden die Verbindungsbahnen zwischen der frontalen Hirnrinde und dem Limbischen System (jener Hirnregion, die unser Gefühlsleben kontrolliert, durchtrennt. Viele Patienten starben an Komplikationen wie Blutungen und Infektionen. Jene, die eine Lobotomie überlebt hatten, vegetierten ohne jeglichen Antrieb als "gut führbare Patienten" in psychiatrischen Anstalten dahin. Die absolut gerechtfertigte Empörung über dieses dunkle Kapitel der Psychiatrie setzte der Praxis der psychochirurgischen Behandlung von Patienten in den 50er Jahren ein Ende.
In Deutschland wurden aber in den 80er Jahren von einigen Neurochirurgen Eingriffe an Sexualstraftätern vorgenommen, denen bei Einwilligung zur Operation ihre Haftstrafen erlassen wurden. Diese Praxis führte zu einem Wiederaufflammen der Debatte über die ethischen Grundlagen der Psychochirurgie und zu einer massiven Kritik von Seiten der Psychiater und Psychotherapeuten. Dies hatte zur Folge, dass im deutschen Sprachraum bei keiner psychiatrischen Erkrankung mehr chirurgische Eingriffe durchgeführt wurden.

Im Ausland hingegen wurde an einigen wenigen Zentren Therapiestudien mit Psychochirurgie an Patienten vorgenommen, die an schwersten Zwangsstörungen litten, bei denen keine andere Therapie anschlug (Behandlungsresistenz).

Zwangskranke leiden an einem unbezwingbaren Verlangen eine Handlung immer wieder vorzunehmen, von deren Sinnlosigkeit sie wissen.
Zwangsstörungen können dabei weit mehr sein als das Klischee von skurrilen, oft amüsant erscheinenden Verhalten wie Händewaschzwang. So etwas ist nur eine von vielen möglichen Ausprägungen dieser Erkrankung. Die Lebensqualität von Patienten mit Zwangskrankheit ist in der Regel massiv gestört, ein normales "Funktionieren" in der Gesellschaft nicht möglich. Sehr häufig leiden diese Patienten zusätzlich an einer schweren Depression, und für viele Patienten ist die Selbsttötung der einzige Ausweg

Sowohl die Diagnose von Zwangskrankheiten als auch ihre Behandlung haben in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Heute gibt es wirksame psychotherapeutische und medikamentöse Behandlungsformen. Allerdings kann man nicht leugnen, dass es ein Versorgungsproblem gibt: Viele Zwangskranke werden nicht so behandelt, wie es ihnen zusteht und möglich wäre. Dazu kommt aber eine geringe Zahl von Patienten, die trotz aller Behandlungsversuche auf keine Therapie ansprechen.

Neue Methoden der funktionellen Bildgebung haben wichtige Einblicke in die zugrunde liegende Neurobiologie der Zwangserkrankung ergeben: Heute ist bekannt welche Hirnstrukturen bei der Zwangskrankheit in ihrer Funktion gestört sind. Darauf aufbauend wurden psychochirurgische Eingriffe entwickelt, die gezielt und begrenzt gestörte Funktionsareale im Hirn ausschalten können. Die Resultate dieser Therapie sind eigentlich gut, bei einigen Patienten verschwindet die Zwangssymptomatik sofort nach der Operation. Ein großes Problem stellt aber die Tatsache dar, dass auch diese Verfahren Hirngewebe unwiederbringlich zerstören: Treten unerwünschte Wirkungen auf, ist eine Wiederherstellung der Funktion nicht möglich. 40 Prozent der Operierten leiden aber an solchen Nebenwirkungen wie Verflachung der Gefühle oder Apathie. Diese Nachteile machen solche Eingriffe in der Psychiatrie sehr umstritten.

Seit wenigen Jahren steht nun eine neue psychochirurgische Therapiemöglichkeit zur Verfügung, die ebenfalls Hirnregionen sehr gezielt in ihrer Funktion beeinflussen kann, aber im Gegensatz zu den anderen Verfahren reversibel (rückgängig zu machen) ist. Bei diesem Verfahren handelt es sich um die tiefe Hirnstimulation, die schon seit längerer Zeit in der Behandlung zum Beispiel der Epilepsie oder des Parkinsonsyndroms angewandt werden. Hierbei wird eine sehr feine Elektrode genau in jene Hirnregion vorgeschoben, die behandelt werden soll. Die Elektrode wird dann mit einem unter der Haut verpflanzten Neurostimulator verbunden, der in seiner Funktion und seinem Aussehen einem Herzschrittmacher sehr ähnlich ist. Die Stimulationsstärke kann durch die Haut berührungslos verändert werden. Am Zielort der Elektrode im Hirn kann nun die Funktion des umliegenden Hirngewebes in Abhängigkeit zum Beispiel von der Heftigkeit der Krankheitssymptome beeinflusst werden. Sobald die Stimulation ausgeschaltet ist, verschwindet auch die Beeinträchtigung der Hirnfunktion sofort. Gegebenenfalls kann das Stimulationssystem problemlos wieder entfernt werden.
Die Reversibilität des Verfahrens und die Dosierungsmöglichkeit machen die Hirnstimulation für behandlungsresistente Zwangserkrankungen attraktiv. Aus diesem Grund untersuchen verschiedene Forschergruppen in den USA, Frankreich, Belgien und Deutschland dieses Verfahren systematisch.

Seit etwa einem Jahr ist eine weitere psychiatrische Erkrankung in den Fokus der tiefen Hirnstimulationsforschung gerückt – die Depression. Die Depression ist eine sehr häufige und entgegen weitverbreiteter Meinung sehr schwere, potenziell lebensbedrohende Erkrankung. Die heute zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten erlauben bei den meisten Patienten eine gute Behandlung, die Therapieresultate sind meist wesentlich besser als bei Zwangsstörungen. Allerdings gibt es auch bei dieser Krankheit eine Gruppe von Patienten, die entweder gar nicht oder nur schwer therapierbar sind.
Zwei amerikanische und eine deutsche Forschergruppe untersuchen zur Zeit die Anwendung der tiefen Hirnstimulation bei schwersten, therapieresistenten depressiven Erkrankungen.

Wie bei allen neuen Therapieverfahren in der Medizin ist bei der Beurteilung der tiefen Hirnstimulation bei psychiatrischen Erkrankungen höchste Vorsicht geboten. Vereinzelte Erfolgsmeldungen dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass bisher nur sehr wenige Patienten behandelt wurden, und gerade bei psychiatrischen Patienten ist darauf zu achten, dass keine falsche Hoffnungen geweckt werden. Auch die genannten dunklen Kapitel der Psychiatrie-Geschichte müssen dazu führen, dass die jetzt laufenden Therapiestudien sorgfältig geplant und vorsichtig interpretiert werden.
Auf der anderen Seite ist es enorm wichtig, dass diese neue Therapiemöglichkeit nicht von vorn herein verdammt wird. Derzeit wird der mögliche Stellenwert der tiefen Hirnstimulation bei psychiatrischen Erkrankungen mit wissenschaftlicher Sorgfalt untersucht.
Angesichts der bedauernswerten Situation von Patienten, die an therapieresistenten psychiatrischen Störungen leiden, ist es ein ethischer Imperativ, nichts unversucht zu lassen, um ihre Situation zu verbessern. Denn im Gegensatz zu Früher geht es nicht um die "Ruhigstellung", sondern ausschließlich um die Lebensqualität der Patienten. Dies sollte es möglich machen, eine weitere Erforschung solcher Methoden ohne ideologische Scheuklappen zu akzeptieren.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. med. Thomas E. Schläpfer
Universitätsklinikum Bonn
Psychiatrie und Psychotherapie
Sigmund-Freud-Straße 25
53105 Bonn
Tel.: 0228/287-5715; Fax: -5025
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Pressekontakt:
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