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DGPPN Kongress 2004
Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde
ICC Berlin, 24. bis 27. November 2004

Sexualstraftäter:
Wie und wo sollen sie behandelt werden
Pressetext von Prof. Henning Saß, Aachen

"Gefährliche Sexualstraftäter muss man einfach wegsperren." Keine Frage, der Bundeskanzler hat kürzlich mit diesem Satz die offen geäußerte oder "klammheimliche" Meinung eines Teils der Bevölkerung getroffen. Aber Populismus hilft hier wenig. Öffentliche Diskussionen über abweichendes Sexualverhaltens, besonders zum Beispiel über Kinderschänder und Vergewaltiger, sind verständlicherweise emotional hoch besetzt. Denn das Recht der Bevölkerung auf Sicherheit ist ein hohes Gut. Aber Vorur-teile und verkürzte Sichtweisen sind gefährlich und können sogar das Gegenteil von Schutz bewirken. Hinzu kommt, dass auch die Verpflichtung, allen Kranken zu helfen, eine Übereinkunft von hohem Wert in einer humanen und demokratischen Gesellschaft ist. Sorgfältige Differenzierung ist auch wichtig, um die Ausgrenzung von allen Menschen mit seelischen Krankheiten nicht noch zu verschlimmern. Eine hundertprozentige Sicherheit in der Frage, ob ein Sexualstraftäter wieder in die Freiheit gelangen darf, wird es nicht geben. Aber die dramatischen Einzelfälle von Entlassenen, die bald darauf wieder eine schreckliche Tat begingen, dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass die Prognose von Fachärzten sorgfältig gestellt wird.

Einige der Formen abweichenden Sexualverhaltens sind strafrechtlich besonders relevant.

Exhibitionismus macht rund 20 Prozent aller Sexualdelikte aus und wird meist als relativ harmlos angesehen, doch gibt es durchaus Steigerungen in der Intensität bis hin zu Tätlichkeiten oder Verdeckungsdelikten.

Sadismus und Masochismus (die Rede ist hier nicht von "einvernehmlicher Sexualität") sind von der Häufigkeit her weniger bedeutend, doch begehen gerade sadistische Täter ausgesprochen intensive und gefährliche, mit hoher Wiederholungsgefahr verbundene Handlungen. Bei einer Reihe von bekannten Serienmördern dürften Tötungslust und sadistische Impulse das wesentliche Motiv darstellen.

Pädophile Delikte machen 25 bis 30 Prozent der Sexualdelikte aus und stehen üblicherweise zunächst im Zusammenhang mit einem besonderen Interesses und der liebevoll erscheinenden Zuwendung zu Kindern als Sexualobjekten. Oft kommt es zur Steigerung mit erzwungenen Sexualkontakten und Vergewaltigungshandlungen mit mehr oder weniger hohem aggressivem Potential. Besonders bei vorbestraften Tätern steigt mit jedem Delikt die Gefahr, dass es zu Verdeckungshandlungen bis hin zu Tötungsdelikten kommt.

Vergewaltiger haben nicht immer den Hintergrund abweichender Sexualität im Sinne der Krankheitsdefinition, sondern oft sind es hinsichtlich ihrer psychosexuellen Ausrichtungen "normale", aber in der Durchsetzung ihrer Wünsche besonders rücksichtslose und brutale Täter. Außerdem kommt es bei der aggressiven Deliktdurchführung häufig zu massiven Verletzungen bis hin zu Tötungshandlungen, die entweder aus der Verschmelzung triebbedingter und aggressiv-sadistischer Bestrebungen herrühren oder aus dem bestreben, die Tat zu verdecken.

Begutachtung

Im Strafgesetzbuch ist geregelt, dass es zu einer erheblichen Minderung oder Aufhebung der Schuldfähigkeit kommen kann, wenn eine "schwere seelische Abartigkeit" vorliegt. Die erste Prüfung bei der Schuldfähigkeitsuntersuchung eines Sexualstraftäters gilt also der Frage, ob die Tat auf eine psychosexuelle Störung zurückgeht, oder ob es sich um die Gelegenheits- beziehungsweise Ersatztat eines "normophilen" Menschen handelt. Sofern eine schwere psychosexuelle Störung vorliegt, gilt der nächste Prüfungsschritt der Frage, ob dadurch zum Zeitpunkt der Tat das Einsichts- oder Steuerungsvermögens des Täters erheblich beeinträchtigt oder gar aufgehoben war.

Die Begutachtung erfordert eine ausführliche Aufnahme der Krankengeschichte hinsichtlich der allgemeinen Lebensentwicklung, der sexuellen Entwicklung und der aktuellen Partnerschaftssituation einschließlich sexueller Gepflogenheiten in der Zeit vor der Tat. Die Begutachtung sollte nur durch speziell ausgebildete Psychiater, Psychotherapeuten und Psychologen erfolgen.

Wegen der in der Öffentlichkeit häufig geäußerten Kritik an der Qualifikation der Gutachter hat die deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) ein besonderes Ausbildungscurriculum zum Erwerb des Schwerpunktes "Forensische Psychiatrie" eingeführt, das inzwischen von der Bundesärztekammer in die Musterweiterbildungsordnung übernommen wurde.

Maßregelvollzug
Wenn einem Straftäter wegen einer als "schwere andere seelische Abartigkeit" angesehenen psychosexuellen Störung die Voraussetzungen des § 21 StGB (verminderte Schuldfähigkeit) oder des § 20 StGB (Schuldunfähigkeit) zugebilligt werden, so kann bei fortbestehender Gefährlichkeit die Unterbringung im Maßregelvollzug angeordnet werden. Etwa 15 Prozent der im Maßregelvollzug untergebrachten Personen wurden wegen Sexualdelikten ohne Gewalt und weitere 15 Prozent wegen Sexualdelikten mit Gewalt verurteilt.
Die durchschnittliche Unterbringungsdauer der Straftäter mit Sexualdelikten im Maßregelvollzug ist – im Vergleich zu anderen Gruppen – sehr viel länger.
Die Unterbringung im Maßregelvollzugskrankenhaus soll der Sicherung der Allgemeinheit vor dem als gefährlich eingeschätzten Sexualstraftäter dienen, zugleich aber auch der Therapie seiner Störung. Allerdings gibt es nur begrenzte Möglichkeiten zur erfolgreichen Behandlung. In früheren Jahren geschah dies durch tiefenpsychologisch oder psychoanalytisch orientierte Gesprächstherapien. Diese sind inzwischen weniger bedeutend und werden von verhaltenstherapeutischen und ähnlichen Behandlungsversuchen abgelöst. Hinzu kann eine Beeinflussungen mit Medikamenten treten, die eine übermäßige Aktivität männlicher Hormone dämpfen können (antiandrogene Hormontherapie). Neben der Triebdämpfung sollte durch begleitende psychotherapeutische Maßnahmen und durch Soziotherapie versucht werden, Einfluss auf die psychosexuelle Situation und die Lebensgestaltung zu nehmen.
Prognose

Prognose bedeutet hier eine Aussage über künftige Gefährlichkeit und rückfälliges Verhalten. Mit jeder Kriminalprognose ist eine Unsicherheit verbunden. Allgemeine Erfahrungsregeln sagen, daß die Rückfallneigung gerade bei Sexualdelinquenz sehr groß ist. Andererseits kann man bei vielen psychosexuellen Störungen mit den natürlichen Reifungs- und Alterungsvorgängen von einer Abnahme der Triebstärke und auch der Intensität sexuell abweichenden Verhaltens ausgehen. Eine besondere Schwierigkeit bei der Durchführung therapeutischer Maßnahmen und bei der Prognosestellung für Sexualstraftäter liegt darin, dass unter den geschlossenen Bedingungen einer Haftanstalt oder eines Maßregelvollzugskrankenhauses die Möglichkeit zum Lernen aus Erfahrung, zum langsamen Umgestalten der Beziehungsmuster und zur stufenweisen Lockerung unter Alltagsbedingungen nicht gegeben ist. Von daher tragen die institutionell durchgeführten Therapien Züge einer verbalen Leerlaufmaßnahme. Das Fehlen von kontrollierten Erprobungsmöglichkeiten unter realistischen Bedingungen erschwert die Vorhersage, wie ein Proband sich in Freiheit verhalten wird.
Kriterien für die Prognose können sein:
- Einsicht in den Störungscharakter des sexuell abweichenden Verhaltens und Therapiemotivation
- günstige soziale Umgebung in der Freiheit
- selbstkritische Auseinandersetzung mit der Tat und dem Sexualverhalten
- Offenheit bei der Selbstdarstellung
- Nachreifung der Persönlichkeit
- Konkrete und realisierbare Zukunftsperspektiven einschließlich der Vorstellungen über die Gestaltung der sexuellen Sphäre

Trotz der Dramatik und des öffentlichen Aufsehens, das von Zeit zu Zeit mit den Einzelfällen drastischer Sexualdelikte verbunden ist, muß vor Generalisierungstendenzen im öffentlichen Umgang mit abweichendem Sexualverhalten gewarnt werden. Die verständlichen Befürchtungen und Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit stehen in Konkurrenz mit den Persönlichkeits- und Freiheitsrechten des Individuuums. Deshalb sind auch für untergebrachte Sexualstraftäter Möglichkeiten der Therapie, der Rehabilitation und der Rückkehr in ein Leben in Freiheit zu erhalten. Wird ausschließlich der Sicherungsgedanke in den Vordergrund gestellt, so führt dies zu einem stark restriktiven Umgang mit Sexualstraftätern, was die Möglichkeiten für eine Wiedereingliederung verringert. Wie Erfahrungen (zum Beispiel in der DDR) gezeigt haben, ist jeder Therapieversuch allemal besser – und damit sicherer auch für die Gesellschaft – als bloßes Wegsperren. Völlige prognostische Sicherheit wird es auch in Zukunft nicht geben. Es ist eine im gesellschaftlichen Dialog zu erörternde Frage, wie viel Risiko die Allgemeinheit zu tragen bereit ist. Dabei kann von jedem Gutachter eine äußerst sorgfältige und verantwortungsvolle Beschreibung des vorliegenden Einzelfalles und der Risikofaktoren erwartet werden.
Ansprechpartner:
Prof. Dr.med. Henning Saß
Vorstandsmitglied DGPPN
Universitätsklinikum Aachen
Pauwelsstraße 30
52074 Aachen
Tel.: 0241/8088-125, Fax: -464
E-Mail

Pressekontakt:
MWM-Vermittlung
Kirchweg 3 B, 14129 Berlin
Tel.: 030/803 96-86; Fax: -87
E-Mail

 
 
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