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DGPPN Kongress 2004
Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde
ICC Berlin, 24. bis 27. November 2004

Regen Medikamente gegen Depressionen neue Nervenzellenan?"
Neurogenese": Was die Naturwissenschaft über seelische Krankheiten lehrt
Pressetext von Prof. Fritz A. Henn, Mannheim

Dies war bisher ein Dogma der Neurobiologie: Im Gehirn erwachsener Menschen können Nervenzellen nicht mehr erneuert werden. Doch seit etwa zehn Jahren mehren sich die Befunde, und mittlerweile ist allgemein anerkannt, dass an zwei Stellen im Gehirn von Säugetieren lebenslang neue Nervenzellen gebildet werden. Dieses Phänomen heißt Neurogenese. Über die Funktion und Bedeutung der neuen Nervenzellen ist noch wenig bekannt, um so lebhafter sind die Diskussionen darüber. Vielleicht ist die "Neurogenese-Theorie" nicht die oder die einzige Erklärung für die Entstehung oder Verhinderung von Depressionen. Aber es kann gut sein, dass die Neurogenese in Zukunft bei ihrer Behandlung eine entscheidende Rolle spielen wird.

Es geht um zwei Hirnregionen: zum einen die subventrikuläre Zone, in der neue Nervenzellen aus neuronalen Stammzellen gebildet werden, zum anderen den Hippokampus, eine Hirnstruktur, die mit Lernen und Gedächtnis zu tun hat. An diesen beiden Stellen im Gehirn unterliegen die neu gebildeten Zellen einer gut kontrollierten Regulation: Die Rate neu gebildeter Zellen ist eng gekoppelt an die Rate durch programmierten Zelltod (Apoptose) natürlicherweise absterbender Zellen. Durch eine interessante Umgebung (enriched environment), durch körperliche Bewegung im Laufrad und durch neue Lernerfahrungen kann bei Nagern die Neubildung von Zellen im Hippokampus stimuliert werden. Umgekehrt mindert Stress – vermutlich über einen Anstieg der Stresshormone wie zum Beispiel Kortisol – die Bildung neuer Nervenzellen. Da durch Stress auch Depressionen ausgelöst werden können, wuchs die Hoffnung, neuronale Stammzellen könnten bei der Entstehung der Depression eine Rolle spielen und das neue Wissen könnte zu einer besseren Behandlung der Depression führen.
Tatsächlich konnte Ron Duman von der Yale Universität zeigen, dass die Behandlung mit antidepressiven Medikamenten beim Tier zu einem Anstieg der Neurogenese führt.
Ein weiterer Hinweis: Bei neurologischen Krankheiten ist ist (in besonderen Fällen) die elektrokonvulsive Therapie bekannt, mit deren Hilfe generalisierte Krampfanfälle zunächst ausgelöst werden, um den Hirnstoffwechsel (Neurotransmitter) positiv zu beeinflussen. Auch bei schwersten Depressionen, wenn alle anderen Behandlungen versagen, wird die elektrokonvulsive Therapie mittlerweile angewendet. Auf diesem Gebiet war sie früher umstritten, ist inzwischen aber allseits als eines der wirksamsten Verfahren anerkannt. Und: Auch die elektrokonvulsive Behandlung steigert die Bildung neuer Nervenzellen im Hippokampus. Die Arbeitsgruppe um Rene Hen an der Columbia Universität wies darüber hinaus nach, dass im Mausmodell die Wirkung der Antidepressiva auf das Verhalten eng mit der Neurogenese-stimulierenden Wirkung gekoppelt ist.

Fred Gage und seine Mitarbeiter formulierten die "Neurogenese-Hypothese" der Depression, der zufolge der menschlichen Depression ein Abfall der Neurogenese im Hippokampus zugrunde liegen soll. Durch die Steigerung neu gebildeter Zellen könnte folglich eine langsame Verbesserung der Gefühlslage bewirkt werden.
Unsere eigenen Daten zeigen jedoch keinen so einfachen Zusammenhang zwischen Neurogenese und depressionsähnlichem Verhalten. Wir untersuchen ein Tiermodell der Depression, die "Erlernte Hilflosigkeit": Wie auch Menschen sind manche Ratten "widerstandsfähig" gegen Depressionen, andere entwickeln depressionsähnliche Symptome, wenn sie unkontrollierbarem Stress aussetzt sind. Diese Symptome können auch bei Ratten mit Medikamenten behandelt werden. Das depressionsähnliche Verhalten trat jedoch schon auf, bevor die Zellen im Hippokampus vermindert waren. Umgekehrt führte eine Verminderung der Neurogenese auch in unseren Untersuchungen keineswegs immer zu depressivem Verhalten. Außerdem ist entgegen der Erwartung die Bildung neuer Zellen im Hippokampus nach Stress bei allen Tieren vermindert, unabhängig davon, ob sie hilflos reagierten oder resistent gegen Stress waren. Wir folgern aus diesen Befunden, dass eine Verminderung der Neurogenese zumindest im Tiermodell nicht die alleinige Ursache des depressiven Verhaltens sein kann.

Möglicherweise spielt die Neurogenese zwar nicht bei der Entstehung von Depressionen, wohl aber bei ihrer Behandlung eine entscheidende Rolle. Denkbar erscheint auch, dass die Verminderung der Neurogenese den Mechanismus darstellt, der depressive Episoden aufrechterhält oder ihre Wiederkehr begünstigt. Diese Fragen werden in kommenden Untersuchungen am Menschen und am Tier untersucht werden müssen. Und auch wenn die Neurogenese sich nicht als die der Depression oder ihrer Behandlung zu Grunde liegende Ursache erweisen sollte, so hat diese Theorie schon jetzt wertvolle Anstöße zur Entwicklung dringend benötigter neuer Antidepressiva gegeben.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Dr. Fritz A. Henn
Zentralinstitut für Seelische Gesundheit
Postfach 12 21 20
68159 Mannheim
Tel.: 0621/1703-2002; Fax: -2005
E-Mail
Weiterführende Literatur:
Henn FA, Vollmayr B. Neurogenesis and Depression: Etiology or Epiphenomenon? Biol Psychiatry 2004; 56. 146-150
Jacobs BL, Praag H, Gage FH. Adult brain neurogenesis and psychiatry: a novel theory of depression. Mol Psychiatry 2000; 5: 262-269
Kempermann G, Kronenberg G. Depressed new neurons - adult hippocampal neurogenesis and a cellular plasticity hypothesis of major depression. Biol Psychiatry 2003; 54: 499-503.
Malberg JE, Duman RS. Cell proliferation in adult hippocampus is decreased by inescapable stress: reversal by fluoxetine treatment. Neuropsychopharmacology 2003; 28: 1562-1571
Santarelli L, Saxe M, Gross C et al. Requirement of hippocampal neurogenesis for the behavioral effects of antidepressants. Science 2003; 301: 805-809
Vollmayr B, Simonis C, Weber S, Gass P, Henn FA. Reduced cell proliferation in the dentate gyrus is not correlated with the development of learned helplessness. Biol Psychiatry 2003; 54: 1035-1040.

Pressekontakt:
MWM-Vermittlung
Kirchweg 3 B, 14129 Berlin
Tel.: 030/803 96-86; Fax: -87
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