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DGPPN Kongress 2004
Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde
ICC Berlin, 24. bis 27. November 2004

Der psychisch Kranke als Fremder und Ausgegrenzter
Belastung Betroffener durch Stigmatisierung
Pressetext von Prof. Dr. Wolfgang Gaebel

Von psychischer Erkrankung betroffene Personen werden durch gesellschaftliche Stigmatisierung* und Diskriminierung belastet – zusätzlich zu ihrem Leiden und den Folgen der Erkrankung. Falsche Vorstellungen und negative Einstellungen gegenüber seelisch Kranken entstehen zunächst durch den Mangel an Wissen in der Bevölkerung über Ursachen, Symptome, Verlauf und Therapie. Hinzu kommt, dass Viele kaum Kontakt zu psychisch kranken Menschen haben. Die Folge sind soziale Ausgrenzung und Benachteiligung. Bisherige Modellprojekte haben gezeigt, dass Aufklärung und weitere Maßnahmen Vorurteile und Diskriminierung ganz erheblich verringern können. Die DGPPN startet deshalb anlässlich ihres Jahreskongress 2004 gemeinsam mit anderen Organisationen das "Nationale Programm zur Entstigmatisierung seelischer Erkrankungen".
Depressionen zum Beispiel sehen Nicht-Fachleute auf diesem Gebiet als weniger behandlungsbedürftig an als schizophrene Erkrankungen. Dahinter verbirgt sich das Vorurteil, depressive Menschen seien nicht wirklich krank und ihr mangelnder Antrieb sei eine Frage der Disziplin. Auch Menschen mit Suchterkrankungen sind von einer negativen öffentlichen Meinung betroffen: Ihnen wird häufig vorgeworfen, sie seien selbst Schuld an ihrer Situation. Menschen, die an Schizophrenie leiden, werden wiederum meist als unberechenbar, gewalttätig und gefährlich angesehen. Dabei ist ihr Gewalt- und Kriminalitätsrisiko durchschnittlich nur geringfügig größer als das in der Normalbevölkerung. Vor allem aber sind Gewaltkriminalität bei Schizophrenen auf Begleitererkrankungen zurück zu führen: Antisoziale Persönlichkeitsstörungen sowie Alkohol- und Substanzmissbrauch sind bei schizophren erkrankten Personen Risikofaktoren für Gewaltkriminalität. Dieses Risiko ist außerdem bei nicht behandelten Schizophrenen höher als bei solchen, die sich in Behandlung befinden.
Soziale Distanz gegenüber psychisch Erkrankten
Zahlreiche Studien haben sich mit der Erforschung jener Faktoren befasst, welche die soziale Distanz gegenüber psychisch Kranken beeinflussen. Gemeint ist also das Ausmaß an Distanz, das sich Individuen einer Gruppe zwischen sich und Mitgliedern einer anderen Gruppe in bestimmten Situationen persönlichen Kontaktes wünschen. In ihrer Untersuchung zur "Sozialen Distanz der Bevölkerung gegenüber psychisch Kranken" stellten die Psychiater Matthias Angermeyer und Herbert Matschinger 1996 deutliche Unterschiede im Ausmaß der sozialen Distanz bei verschiedenen psychiatrischen Störungen fest. Auf die größte Ablehnung in der Bevölkerung stießen Alkoholkranke, gefolgt von schizophren Kranken und Personen mit einer narzißtischen Persönlichkeitsstörung. Die geringste soziale Distanz wurde festgestellt in Bezug auf Personen mit einer Depression oder einer Panikstörung mit Agoraphobie ("Platzangst"). Bei allen hier untersuchten Störungen findet sich dasselbe Muster: Mit zunehmendem Grad an "Intimität" der vorgestellten Beziehung nimmt die von den Befragten gewünschte soziale Distanz zu.
Eine Befragung der Bevölkerung in sechs deutschen Großstädten (Berlin, Bonn, Düsseldorf, Essen, Köln, München) zum Wissensstand der Bevölkerung über Schizophrenie bestätigte die Zunahme der sozialen Distanz mit der Nähe der vorgestellten Beziehungsituation zunimmt: 8,5 Prozent der 7.246 Befragten gaben an, Angst zu haben, sich mit einem an Schizophrenie erkrankten Menschen zu unterhalten. Etwa 15 Prozent würden sich durch einen schizophren Kranken am Arbeitsplatz gestört fühlen. Ein Drittel wäre beunruhigt, wenn in ihrer Nachbarschaft eine Gruppe an Schizophrenie Erkrankter einziehen würde. Über 40 Prozent erklärten, sie würden nicht das Zimmer in einem Krankenhaus mit einem schizophren Kranken teilen wollen, und mehr als 70 Prozent würden jemanden mit einer Schizophrenie nicht heiraten.
Strategien und Maßnahmen zum Abbau von Stigma und Diskriminierung
Zu den wirksamen Strategien zur Verringerung von Stigmatisierung und Diskriminierung schizophren Erkrankter gehört zunächst die weitere Verbesserung der psychiatrischen Versorgung. Besonders wichtig aber ist die Aufklärung über Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten, wobei Betroffene und Angehörige in die Planung und Durchführung von Aufklärungsmaßnahmen einbezogen werden müssen. Hilfreich ist ebenso der Protest gegen stigmatisierendes und diskriminierendes Verhalten sowie der persönliche Kontakt zwischen psychisch Erkrankten und "gesunden" Personen. Diese Strategien werden in weltweiten Programmen zur Verbesserung von Wissen, Einstellungen und Verhalten der Bevölkerung gegenüber schizophren Erkrankten verfolgt. Der Weltverband für Psychiatrie (World Psychiatric Association, WPA) nennt dieses Programm: "Fighting stigma and discrimination because of schizophrenia – Open the doors". In Deutschland wird das "Open the doors"-Programm der WPA seit 1999 von verschiedenen Projektzentren umgesetzt. Dazu gehören die Universitätskliniken in Hamburg, Kiel, Itzehoe, Leipzig, Düsseldorf und München (TU und LMU). Zu den Maßnahmen zählen Lesungen mit betroffenen Jugendlichen, Film- und Theaterabende, Benefizkonzerte, Journalistenworkshops, Schulprojekte, Psychoseseminare, Workshops mit Polizeibeamten und Trainings mit Stationspersonal. Die Zentren in Düsseldorf und München (LMU) werden diese Maßnahmen im Rahmen des vom Bundesforschungsministerium (BMBF) geförderten "Kompetenznetz Schizophrenie" aus.
Wirksamkeit der Maßnahmen:
Einstellungen in der Bevölkerung nach drei Jahren Interventionen
Im Sommer 2004 wurde die deutsche Bevölkerung nochmals befragt, um die Effektivität der Antistigma-Maßnahmen im Kompetenznetz Schizophrenie zu bewerten. Unter anderem wurden erfragt: Wissen über Ursachen der Schizophrenie, stereotype Einstellungen gegenüber schizophren Erkrankten, Beurteilung psychiatrischer Behandlungsmethoden, Wissen über soziale Diskriminierung psychisch Kranker und soziale Distanz gegenüber schizophren Erkrankten. Außerdem wurde der Bekanntheitsgrad der Antistigma-Initiativen "Open the doors", "BASTA" (Bayerische Antistigma-Aktion) und "ASAM" (Antistigma-Aktion München) erfragt.
Die Ergebnisse dieser Befragung, an der fast 4.700 der 2001 bereits interviewten Personen teilnahmen, zeigen eine positive Entwicklung: Bedeutend mehr jener Personen, die mindestens eine der erfragten Antistigma-Initiativen kennen, konnten Ursachen für Schizophrenie nennen (74 Prozent) im Vergleich zu denen, die keine der Initiativen kennen (60 Prozent). Gegenüber der Vorbefragung gaben mehr Interviewte an, die Erkrankung habe sowohl biologische als auch psychosoziale Ursachen, wussten also, dass beides zusammen spielt. Zudem gab es weniger Vorurteile: In der zweiten Befragung sagten weniger Menschen, schizophren Erkrankte seien "wegen ihres gewalttätigen Verhaltens gefährlich für die Öffentlichkeit". In beiden Befragungen haben Personen mit Kontakt zu psychisch Kranken eine geringere soziale Distanz gegenüber Erkrankten als Interviewte ohne Kontakt. Im Vergleich der zweiten zur ersten Befragung sank die soziale Distanz stärker bei Personen, die mindestens eine der Antistigma-Initiativen kennen. Besonders stark verringerte sich die soziale Distanz in den Städten Düsseldorf und München, in denen das "Open the doors"-Programm in Verbindung mit dem Kompetenznetz Schizophrenie durchgeführt wurde.
Aufgrund dieser guten Erfahrungen wird ab Mitte des Jahres 2005 unter dem Dach des Kompetenznetz Schizophrenie in Düsseldorf ein "Kompetenzzentrum für Entstigmatisierung psychischer ErkrankungenÓ eingerichtet. Hier werden Serviceleistungen wie die Entwicklung, Anwendung und wissenschaftliche Überprüfung von "Antistigma-TrainingsmodulenÓ und "Train-the-TrainerÓ-Seminaren angeboten werden, um langfristig und in bundesweiten Kooperationen zur Bekämpfung der Diskriminierung von Menschen mit Schizophrenie beizutragen.
Nationales Programm zur Entstigmatisierung seelischer Erkrankungen
Das Nationale Antistigmaprogramm ist eine gemeinsame Initiative des Vereins "Open the doors" und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) unter Mitwirkung des Bundesgesundheitsministeriums (BMGS).
Auftaktveranstaltung:
Schirmherrschaft: Ulla Schmidt, Bundesgesundheitsministerin
Mittwoch, 24.11.2004
18.15 Uhr, ICC Berlin, Saal 4/5
im Rahmen des DGPPN-Jahreskongresses
mit:
Prof. Mathias Berger, Präsident der DGPPN
Dr. Klaus Theo Schröder, Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium
Prof. Costas Stefanis, WPA, Griechischer Gesundheitsminister a.D.
Prof. Wolfgang Gaebel, Vorsitzender d. Schizophrenie-Sektion d. WPA und d. Vereins Open the doors
Das Nationale Antistigmaprogramm wird sich unter Mitwirkung Betroffener und Angehöriger psychisch Erkrankter über mehrere Jahre für die Aufklärung der Bevölkerung über psychische Erkrankungen und den Abbau von Stigma und Diskriminierung der betroffenen Menschen einsetzen.
* Stigma: Der Begriff stammt aus dem Griechischen und bedeutet "Wunde", aber auch "Kennzeichen" oder "Brandmal". Der amerikanische Soziologe Erving Goffmann hat 1963 in seinem Buch "Stigma – Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität" den Begriff allgemein auf die Herabminderung von Personen und deren Ausgrenzung zum Beispiel aufgrund einer Behinderung angewandt.
Ansprechpartner:
Prof. Dr.med. Wolfgang Gaebel
Heinrich-Heine-Universität
Psychiatrische Klinik
Bergische Landstraße 2
40629 Düsseldorf
Tel.: (0211) 922-2000; Fax: -2020
E-Mail

Pressekontakt:
MWM-Vermittlung
Kirchweg 3 B, 14129 Berlin
Tel.: 030/803 96-86; Fax: -87
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