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DGPPN Kongress 2004
Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde
ICC Berlin, 24. bis 27. November 2004
Gene, Umwelt, Erziehung Entstehung psychischer Krankheiten
am Beispiel der Schizophrenie
Pressetext von Prof. Peter Falkai, Homburg/Saar
Der "alte Streit" über die Frage, ob einerseits die Umgebung des
Menschen und seine Lebensgeschichte oder andererseits biologische, insbesondere
Erbfaktoren seelische Krankheiten auslösen, ist vorbei. Am Beispiel
der Schizophrenie lässt sich heute zeigen, dass Beides je
nach Krankheit in unterschiedlicher Kombination zusammen spielt.
Gerade bei der Schizophrenie wurden in den letzten Jahren Abschnitte im
Erbgut (Gene) gefunden, welche die "Anfälligkeit" für diese
Krankheit erhöhen. Ebenso konnten Umweltfaktoren identifiziert werden,
die das Risiko steigern. Zwar gibt es also nicht "das Schizophrenie-Gen"
oder "den Stress-Faktor", aber aus den neueren biomedizinischen
Erkenntnissen entsteht die konkrete Hoffnung, in absehbarer Zeit noch
nachhaltiger wirksame Therapien zu entwickeln.
Die Krankheit
Die Schizophrenie (früher im allgemeinen Sprachgebrauch auch "Persönlichkeitsspaltung"
genannt) tritt besonders häufig im Alter zwischen 25 und 35 Jahren
zu Tage. Zwar helfen moderne Medikamente ("Neuroleptika der zweiten Generation")
oft, aber sie greifen nur zum Teil in die Krankheitsursachen ein. Über
die Hälfte der Betroffenen kann leider nur sehr begrenzt ein "normales
Leben" führen. Neben den Hauptsymptomen dieser Erscheinungsformen
der Psychose wie zum Beispiel Wahnvorstellungen gobt es das, was die Fachleute
"Negativsymptomatik" nennen: Folgeerscheinungen wie Stimmungsschwankungen
sowie Störungen des Antriebs und der Konzentrationsfähigkeit.
Das Problem bei Menschen mit Schizophrenie ist häufig, dass ihr "Arbeitsspeicher"
zu schnell voll wird und sie nicht in der Lage sind, einem normalen Informationsfluss
zu folgen. Die Folgeerscheinungen sind es oft, die zum Beispiel Berufsunfähigkeit
erzwingen.
Untersuchungen an Familien und besonders Zwillingsstudien haben bereits
gezeigt, dass das Schizophrenie-Risiko auch etwas mit der Vererbung zu
tun haben muss. In der Gesamtbevölkerung kommt die Krankheit zu etwa
einem Prozent vor. Wenn sie aber bereits bei Geschwistern aufgetreten
ist, liegt das Risiko schon über zehnfach höher. Sobald jemand
einen erkrankten eineiigen Zwillingsbruder oder eine Zwillingsschwester
hat, steigt sein Risiko auf das 50fache. Dies zeigt aber umgekehrt auch,
dass andere Faktoren hinzu kommen müssen, bevor die Krankheit wirklich
"ausbricht". Dies wird zusätzlich durch die Tatsache erklärlich,
dass die inzwischen identifizierten Gene, die an der Krankheit beteiligt
sind, bei allen Menschen vorhanden sind; bei Menschen mit erhöhtem
Schizophrenie-Risiko verändern sie aber die Menge an bestimmten Stoffwechselprodukten
in bestimmten Hirnregionen.
Die Gene
Das Verständnis für psychische Erkrankungen hat sich also durch
den Fortschritt der Hirnforschung sowie der Molekularbiologie und Genetik
massiv verändert: Die früher ausschließlich mit psychologischen
Mitteln beschreibbaren Störungen des Erlebens und Verhaltens werden
heute als Veränderungen von Hirnstruktur und Hirnfunktion verstanden.
Wichtig dabei ist: Die Funktion des Gehirns wird eben nicht nur durch
Erb-, sondern auch durch Umweltfaktoren beeinflusst. Solche Veränderungen
bleiben lange "stumm" und können unter Stress und Belastungsbedingungen
zum Tragen kommen.
Der genetische Anteil ist je nach Krankheit unterschiedlich: Im Durchschnitt
liegt er bei mindestens 30 bis 40 Prozent, bei der Schizophrenie bei etwa
80 Prozent aber eben niemals bei 100 Prozent. Bei der Schizophrenie
ist es wie gesagt gelungen, erste Krankheitsgene zu identifizieren.
Gene produzieren generell unter anderem Eiweißstoffe (Genprodukte),
die für verschiedene Funktionen des Organismus gebraucht werden.
Im Fall der Schizophrenie wurden Proteine gefunden, die zuvor noch nie
mit der Krankheit in Verbindung gebracht worden waren. Die Zusammensetzung
der Einzelbausteine (DNA-Sequenz) der "verdächtigen" Gene kommen
in verschiedenen Varianten ("Polymorphismen") vor: Spezielle Varianten
werden bei Patienten mit Schizophrenie häufiger, andere seltener
gefunden. Allerdings ist es nach bisheriger Kenntnis nicht die Zusammensetzung
der Eiweißstoffe (Aminosäure-Sequenz), die den Unterschied
zwischen Gesunden und Kranken ausmacht. Vielmehr häufen sich die
Belege, dass die Genprodukte vor allem in den für die Schizophrenie
relevanten Hirnarealen in unterschiedlicher Menge vorkommen. Dies
wiederum hat zur Folge, dass die Signalübertragung im Gehirn verändert
wird; ferner scheinen die Unterschiede für die Hirnentwicklung und
für die Aufrechterhaltung von Struktur und Funktion von Nervenzellen
wichtig zu sein.
Es gibt also zwar kein "Schizophrenie-Gen", wie das bei manchen klassischen
Erbkrankheiten der Fall ist (Krankheitsgen). Aber es gibt mehrere Gene,
die das Risiko für die Krankheit erhöhen (Dispositionsgene).
Zusammengefasst ist somit für die Schizophrenie das Zusammenspiel
veränderter Varianten von Dispositionsgenen wesentlich. Aber: Auch
die veränderten Erbgutabschnitte, die zu der Krankheit beitragen,
kommen häufig in der Allgemeinbevölkerung vor jeder
kann also ein "Risikokandidat" sein! Und das führt zu einer ganz
wesentlichen Schlussfolgerung: Diskriminierung und Stigmatisierung
von Menschen mit Schizophrenie ist auch unter diesen Gesichtspunkten fehl
am Platz!
Die Umwelt
Durch das schon bis hierher geschilderte Zusammenspiel unterschiedlichster
Ursachen wird verständlich, dass die Erforschung der Schizophrenie
nicht gerade einfach ist. Dies gilt um so mehr für die Kombination
zwischen genetischen und Umweltkfaktoren. Aber auch Letztere sind in den
vergangenen Jahren und Jahrzehnten teilweise identifiziert worden. Ähnlich
wie bei den Erbgutveränderungen reicht auch bei den Umweltfaktoren
jedoch ein einziges Merkmal kaum zur Erklärung aus. Am deutlichsten
sind bisher bekannt: Geburts- und Schwangerschaftskomplikationen, auf
das Ungeborene übertragene Virusinfektionen der Mutter während
der Schwangerschaft, früher Rauschmittel-Konsum und ein besonders
eigentümlicher Risikofaktor das Aufwachsen in Großstädten,
vor allem in Wohngegenden mit großer Bevölkerungsdichte. Auch
für Migranten scheint das Erkrankungsrisiko erhöht. Manche Lebensumstände
bewirken offenbar eine erhöhte Anfälligkeit, und psychosozialer
Stress kann, als ein Faktor, den Ausbruch fördern.
Auch aus Tierversuchen ist bekannt, dass Umgebungsfaktoren die genetische
Produktion von Eiweißstoffen beeinflussen können. Im Verlauf
der Entwicklung eines Menschen, der später eine Schizophrenie entwickeln
wird, ist sein Gehirn verschiedenen Belastungen ausgesetzt. In der Summe
führen solche Belastungen unter Umständen zur seelischen "Dekompensation".
Auch hier wird deutlich: Umgebungsfaktoren sind kein Gegensatz zu biologischen
Faktoren, vielmehr muss klar von einem Zusammenwirken gesprochen werden.
Die Schlussfolgerungen
Die neuen, insbesondere die genetischen Erkenntnisse über die Hintergründe
der Schizophrenie bedeuten, dass es erstmals möglich ist, "Ursachenketten",
die zur Erkrankung führen, von ihrem Ursprung her aufzurollen, während
es bisher nicht möglich war zu sagen, was "Henne" und was "Ei" ist.
Auf dieser Grundlage dürfte es auch möglich sein, neue Medikamente
zu entwickeln. So ist beispielsweise denkbar, die geschilderten Genprodukte
im Labor herzustellen. Die bisher verfügbaren pharmakologischen Möglichkeiten
korrigierten vorwiegend die Veränderungen in der Signalübertragung
im Gehirn. Mit dem besseren Verständns der zur Erkrankung führenden
Ursachenketten ist es vorstellbar, dass ursachennähere Arzneimittel
eine nachhaltigere und bessere Wirkung entfalten.
Ähnliches gilt in gewisser Weise für die Psychotherapie. Nach
neuesten Erkenntnissen ist es möglich, mit gezielten psychotherapeutischen
Maßnahmen und körperlichen Aktivitäten die Plastizität
des Gehirns anzuregen. Auch insofern wird also das Verständnis der
verschiedenen Krankheitsfaktoren Auswirkung auf die Entwicklung neuer
Therapiestrategien haben.
Es gibt folglich Hoffnung, dass in Zukunft die sehr hohen Chronifizierungsraten
und die dauerhaften Defizite als Krankheitsfolgen der Schizophrenie günstiger
als bisher beeinflusst werden können.
Ansprechpartner:
Prof. Dr.med. Peter Falkai
Universität des Saarlandes
Psychiatrie und Psychotherapie
66421 Homburg/Saar
Tel.: 06841/162-4202, Fax: -4270
E-Mail
und
Prof. Dr. med. Wolfgang Maier
Präsident des DGPPN-Kongresses 2004
Universitätsklinikum Bonn
Psychiatrie und Psychotherapie
Sigmund-Freud-Straße 25
53105 Bonn
Tel.: 0228/287-5722; Fax: -6097
E-Mail
Pressekontakt:
MWM-Vermittlung
Kirchweg 3 B, 14129 Berlin
Tel.: 030/803 96-86; Fax: -87
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