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Krankenkassen sparen auf dem Rücken von Drogenkonsumentenund belasten
die Gesellschaft mit Folgekosten
DGS-Presseerklärung vom 8. August 2002
Die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS) begrüßt
das Vorgehen der Bundesregierung, gegen den Widerstand der gesetzlichen
Krankenkassen endlich für eine ausreichende Behandlung von suchtkranken
Menschen zu sorgen.
Die DGS vertritt die fachlich zuständigen Ärzte und setzt sich
für die Einhaltung von wissenschaftlich gesicherten Qualitätsmaßstäben
bei der Versorgung Drogenkranker, für die Vermeidung schwerer Folgeschäden
("harm reduction"), für Vorbeugung und für Forschung ein.
Zwar gibt es keinen "Königsweg" in der Behandlung suchtkranker
Menschen, international anerkannt ist aber längst die Tatsache, dass
die Abgabe von Methadon durch qualifizierte Ärzte einen wesentlichen
Beitrag zur harm reduction leistet.
In Deutschland darf dies bisher nur geschehen, wenn beim drogenkranken
Patienten bereits eine schwere Begleiterkrankung vorliegt - oft genug
also, wenn es zu spät ist. Unter anderem hat dies zur Folge, dass
Menschen unnötigerweise an schweren Infektionen erkranken - und dabei
auch erhebliche Kosten für die Sozialversicherungssysteme verursachen,
die vermeidbar wären.
Mittlerweile hat die Bundesärztekammer neue Richtlinien erarbeitet,
die diesen unwürdigen Zustand beenden.
Zuständig für die Kostenentscheidung und die Umsetzung solcher
Richtlinien ist jedoch der paritätisch zusammen gesetzte "Bundesausschuss
der Ärzte und Krankenkassen".
Auf Betreiben der gesetzlichen Krankenkassen wurde die Verabschiedung
der neuen Richtlinien verschleppt. Während die Ärztevertreter
aus Sorge um die Patienten und zur Vermeidung unnötiger Folgekosten
dafür eintraten, stimmten die Kassenvertreter dagegen, obwohl erkennbar
keine nennenswerte Kostenausweitung damit verbunden wäre. Das entstandene
Patt wurde vom Vorsitzenden des Bundesausschusses nicht aufgehoben. Somit
konnten die Richtlinien nicht in Kraft treten. Damit entstand die groteske
Situation, dass die Krankenkassen Behandlungen nicht bezahlen wollten,
die nach dem internationalen medizinischen Konsens dringend nötig
sind.
Anfang Juli dieses Jahres hat die Drogenbeauftragte der Bundesregierung,
Marion Caspers-Merk, im Wege einer "Ersatzvornahme" die Richtlinien selbst
geändert und den Bundesausschuss angewiesen, diese im Bundesgesetzblatt
zu veröffentlichen. Somit hätten die Richtlinien am 9. August
in Kraft treten können.
Im übrigen hat das Bundesgesundheitsministerium gleichzeitig Anforderungen
an die Qualifikation von Ärzten bewirkt, die suchttherapeutisch arbeiten
möchten. Damit sollen die Qualitätsstandards, wie sie die Mitglieder
der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin erfüllen, flächendeckend
erreicht werden.
In einer eigens einberufenen, außerordentlichen Sitzung des Bundesausschusses
am 2. August haben die Krankenkassen nun durchgesetzt, dass mit einer
Eilentscheidung vor Gericht die Veröffentlichung der Ersatzvornahme
im Bundesgesetzblatt verhindert wird. Gleichzeitig wird mit einer Klageschrift
in der Sache gegen die Rechtmäßigkeit der Ersatzvornahme vorgegangen.
Offensichtlich soll hier auf populistische Weise Wahlkampf betrieben werden.
Dies geschieht in einem Augenblick, in dem europäische Sachverständige
die Drogenpolitik der Bundesregierung im Vergleich zu anderen europäischen
Nationen als besonders wirkungsvoll hervorheben. Zugleich wird die gemeinsam
von Bundesregierung und Deutscher Gesellschaft für Suchtmedizin getragene
Qualitätsoffensive konterkariert.
Der Widerstand der Krankenkassen zielt gegen medizinische Maßnahmen,
die von nationalen und internationalen Gremien als unverzichtbare Bausteine
der Suchttherapie gewertet werden. Vor kurzem hat die Weltgesundheitsorganisation
in einem Empfehlungspapier allen Regierungen nahegelegt, breite Methadonprogramme
zu installieren, um die weltweite explosionsartige Zunahme chronischer
Infektionskrankheiten einzudämmen. Unversorgte Drogenabhängige
sind inzwischen in großen Weltregionen der Motor für die Verbreitung
der Tuberkulose, der chronischen Hepatitis C und vor allem der HIV-Infektion
geworden.
Als sei die Bundesrepublik eine unberührbare Insel, stemmen sich
die gesetzlichen Krankenkassen mit allen Mitteln gegen die entschlossene
Handlungsweise der Bundesregierung, die den internationalen Empfehlungen
Geltung verschaffen möchte.Die Kassen sparen damit kurzfristig geringfügige
Beträge, verursachen aber gleichzeitig erhebliche Kosten in späteren
Jahren, wenn die chronisch Infizierten in das Versorgungssystem kommen.
Ausgetragen wird dieser sachlich nicht begründbare Widerstand auf
dem Rücken der Drogenkranken.
Für den Vorstand der DGS
Dr. Jörg Gölz, Berlin, Vorsitzender der DGS
Prof. Dr. Michael Krausz, Institut für Interdisziplinäre Suchtforschung,
Hamburg
Pressekontakt:
MWM-Vermittlung
Kirchweg 3 B, 14129 Berlin
Tel.: (030) 803 96 86, Fax: 803 96 87
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